Auswirkungen der Maskenpflicht für Menschen mit Hörsehbehinderung

 

Ich möchte gerne einen Einblick in meinen Alltag über die Corona-Maßnahmen und deren gesellschaftliche Entwicklung letztes Jahr bis heute geben. Wie wir alle wissen, ist es im Rahmen der Corona-Maßnahmen wichtig den Abstand einzuhalten, einen Mund-Nasenschutz zu tragen, keinen Körperkontakt zu halten und Hände zu desinfizieren. Vor allem die Verordnung zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes stellt ein enormes Hinderniss für mich dar, weil dadurch keine akustische oder nonverbale Kommunikation möglich ist. Die meisten Menschen mit Hörsehbehinderung haben, so wie ich, noch ein Rest-Hörvermögen oder Rest-Sehvermögen – die noch verfügbaren Sinne werden noch so lang wie möglich genutzt. Ich bin im Alltag in der Kommunikation auf das Lippen lesen, auf die Mimik/Gestik und auf Gebärden/lormen angewiesen. Wenn ich mit Assistenz unterwegs bin, tragen wir beide meistens keinen Mund-Nasenschutz, da wir ständig miteinander kommunizieren – eben auch bei der Bewältigung des Weges.

 

In der Covid-19-Notmaßnahmenverordnung §15 (3) sind Menschen mit Hörbehinderung und Gehörlosigkeit und deren Gegenüber in der Kommunikation vom Tragen eines Mund-Nasenschutzes ausgenommen. Es gibt bis heute leider keine explizite Eintragung zur Ausnahmeregelung für Menschen mit Hörsehbeeinträchtigung und Taubblindheit.

 

Im Frühjahr 2020 habe ich bei meinen alltäglichen Erledigungen mein Gegenüber in der Kommunikation darum gebeten den Mund-Nasenschutz runterzugeben, damit ich sie verstehe. Viele Menschen haben das ohne Probleme anstandslos gemacht, damit war eine Bewältigung des Alltags gut möglich. Doch dann kam der Herbst 2020. Die Bereitschaft der Bevölkerung den Mund-Nasenschutz während der Kommunikation runterzugeben war schlagartig nicht mehr gegeben. Zu diesem Zeitpunkt kam dann zwar die Covid-19-Ausnahmeregelung für Menschen mit Hörbehinderung raus, jedoch änderte sich nichts am zwischenmenschlichen Umgang. Ich und meine Assistenz werden seitdem indirekt und direkt diskriminiert. Wir werden aus Geschäften und Dienstleistungseinrichtungen verwiesen, fotografiert und aggressiv beschimpft. Es treten bei fast jedem Besuch anderer Örtlichkeiten Schwierigkeiten auf, in der ich und meine Assistenz über die Ausnahmeregelung informieren und diskutieren. Das ständige Erklären ist anstrengend, weil die Menschen mich nicht ernst nehmen. Auch abwertende Blicke tragen dazu bei, dass ich mich wie eine Gesetzesverbrecherin und Virus-Massenmörderin stigmatisiert fühle. Die Menschen glauben, dass ich und meine Assistenz Maskenverweiger:innen sind und dass sie sterben, wenn wir keine Masken tragen!

 

Letztens wurde mir an der Universitätsbibliothek erklärt, dass die Covid-19- Notmaßnahmenverordnung und auch mein ärztliches Attest keine Gültigkeit für die Universität Innsbruck hat, da die Universität autonom sei. Nur ein ärztliches Attest von der internen Betriebsärztin habe Geltung. Diese wiederum stellt mir aber kein Attest mit der Ausnahmeregelung in der Kommunikation aus, weshalb ich bis heute das Universitäts-Gebäude nicht betreten darf.

Die Angst vor Menschen ohne Mund-Nasenschutz ist dermaßen groß, dass manche nicht mehr auf ihren Hausverstand hören, auch die Notwendigkeit miteinander kommunizieren zu müssen, scheint nicht mehr gegeben zu sein. Bürokratische Hürden und Unsicherheiten in der Gesellschaft sind massiv gestiegen.

Als hörsehbehinderte Person bin ich bereits gefährdet in Isolation zu rutschen. Die Corona-Maßnahmen, die gesellschaftlichen Ängste und die politischen Spannungen zur Maskenverweigerung haben mich nun endgültig in die Isolation befördert. Die einzigen Kontakte, welche ich zur Außenwelt derzeit habe, bestehen aus Diskriminierungen, diese wiederum schaden meiner Psyche. Lediglich in meinen vier Wänden ist ein Kontakt zu meine:n Assistent:innen, zu engen Freund:innen und meiner Katze möglich. Die Zahl der psychischen Erkrankungen, Ängste und Suizidraten sind enorm gestiegen.

 

Ich hoffe sehr, dass in der Politik und in den Medien/Öffentlichkeit der Kommunikation mit Mimik/Gestik und dem wertschätzenden zwischenmenschlichen Umgang mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Schließlich passiert 90% der Kommunikation über Gesichtsausdruck, Tonlage, Emotion und Gestik/Körperkontakt. Auch die Unwissenheit über die Bedürfnisse der Menschen mit Hörsehbehinderung/Taubblindheit sollte durch Aufklärungen beseitigt werden. Denn Menschen mit Hörsehbehinderung sind keine Maskenverweiger:innen sondern Menschen, die einfach nur kommunizieren wollen.

 

Lydia Kremslehner, Mai 2021


Ausnahmeregelung für Hörbehinderte in Covid-Verordnung!

Am 27.11.2020 wurde vom Bundesministerium eine Änderung der COVID-19-Notmaßnahmen-Verordnung vorgenommen. Diese berücksichtigt unter Anderem nun auch die Bedürfnisse von hörbehinderten und gehörlosen Menschen. Gehörlose und hörbehinderte Menschen sind bei der Kommunikation auf die Mimik und das Mundbild angewiesen. Deswegen gibt es jetzt eine Ausnahmeregelung: Menschen mit Hörbehinderung/Gehörlosigkeit und deren Kommunikationspartner:innen dürfen den Mund-Nasen-Schutz während der Kommunikation abnehmen. Damit ein Verstehen in der Kommunikation möglich ist! Das ist vor allem für jene Menschen mit Hörsehbehinderung/Taubblindheit relevant, welche noch das Gesicht/Lippen ausreichend erkennen können. Diese Ausnahme-Regelung kann auf BIZEPS nachgelesen werden:

https://www.bizeps.or.at/novelle-der-covid-19-notmassnahmenverordnung-beruecksichtigt-beduerfnisse-gehoerloser-menschen/

 

Spenden: IBAN: AT81 1200 0100 1826 9877, BIC: BKAUATWW, UniCredit Bank Austria