Hier ist ein Erfahrungsbericht eines Betroffenen bei seinen Reisen. Er war in Helsinki in Finnland unterwegs! Bitte den Link anklicken und weiterlesen. Viel Spaß beim Lesen!

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Gewohnheiten im Umgang mit hörsehbehinderten / taubblinden Menschen

 

Es ist unmöglich alle alltäglichen Situationen zu beschreiben an denen ich mit meinen derzeitigen Möglichkeiten anstehe bzw. frustriert bin, jedoch möchte ich ein paar Beispiele aus meinen Alltag aufzählen, um einen kleinen Einblick für Außenstehende zu gewähren. Das Thema was ich aufgreifen möchte, sind die unterschiedlichen körperlichen Gewohnheiten die Menschen haben, welche in Sekundenbruchteilen ablaufen können.

 

So kommt es oftmals vor, dass fremde Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn sie mich mit dem Blindenstock sehen und mir helfen wollen, stets sagen: „Hier/Da können Sie sich hinsetzten!“ Diese Leute wissen, dass ich eine Sehbehinderung habe und wollen mir wohlwollend helfen. Dennoch nehmen sie in den meisten Fällen keinen Körperkontakt zu mir auf. Und falls schon, dann wollen sie mich irgendwo hinschieben/drücken, anstatt vorauszugehen oder zu führen. Für den Fall, wenn ich diese Aussage akustisch überhaupt verstehe, kommt meinerseits diese Antwort bzw. Frage: „Wo ist da?“ Wenn dann die Menschen den Arm ausstrecken und hinzeigen und dies nochmals mit einem „Da!“ untermauern, dann haben sie nur aus ihrer Gewohnheit heraus gehandelt. Sie haben nicht wirklich begriffen, was es bedeutet eine Sehbeeinträchtigung/Blindheit zu haben.

Das ist das internationale Taubblinden-Zeichen. Das ist blau und zeigt in weiß ein durchgestrichenes Ohr und eine Figur mit Langstock. Desweiteren steht über den Symbolen in weißer Schrift in deutsch „Taubblind“ und darunter in englisch „deaf-blind“.

Zu meinem Bedauern passieren solche Gewohnheiten leider bei fast allen Menschen, welche visuell sehen können. Dazu zählen leider auch die Persönliche Assistent:innen, Persönliche Assistent:innen am Arbeitsplatz und auch die Betreuung vom mobilen Hilfsdiensten. Vor allem jenen Assistent:innen passieren solche Gewohnheiten immer wieder, obwohl viele mich schon seit vielen, vielen Jahren kennen und betreuen.

Als weiteres Beispiel möchte ich Aspekte im Sozialen Miteinander aufgreifen. So passiert es oft, dass Menschen, welche mit mir kommunizieren, mich nicht anschauen oder auch nicht in meine Richtung sprechen. Sie sprechen mit mir und drehen aber das Gesicht weg, drehen sich um oder gehen in einen anderen Raum. Die Menschen kennen mich und wissen, dass ich schwerhörig bin und auf die Kommunikation in der Nähe mit direktem Gesicht-kontakt angewiesen bin. Aber dennoch tun sie das immer wieder und reden zum Beispiel mit der Wand, mit der Tasche, mit den Unterlagen usw. Sie sprechen aus Gewohnheit einfach in den Raum hinein und glauben, dass alle Menschen das akustisch dennoch verstehen können, wenn sie sich vom: von der Gesprächspartner:in abwenden. Wenig nachvollziehbar ist diese Gewohnheit, wenn das Menschen tun, die mich schon viele, viele Jahre kennen. Wie etwa Assistent:innen, Dolmetscher:innen und auch Angehörige, wie etwa Eltern, Geschwister, Freunde und Partner. Damit muss ich immer wieder erklären, dass ich in einer solchen Situation das Gegenüber nicht verstehen kann, wenn diese sich wegdreht und weiterspricht. Auch Schriftdolmetscher:innen geraten in diese Gewohnheit; sie sprechen nicht deutlich oder zu leise, rufen mir von weitem zu oder wollen mit mir reden, währenddessen sie sich abwenden.

 

Diese beiden Beispiele zum Thema Gewohnheiten stellen widersprüchliches Verhalten vom Körper dar. Zum Einem, da der Körper beim Sprechen nicht präsent ist und sie körperlich sich von mir entfernen und aber dennoch weitersprechen wollen. Und zum Zweiten, wird nicht der ganze Körper als Hilfe angeboten, sondern die Augen, wenn auf etwas hingezeigt oder hingewiesen wird. Der ganze Körper ist beim Geschehen bzw. Tun nicht mit dabei.

Solche alltägliche Gewohnheiten können kränken. Das habe ich auch durch  die Taubblinden-Beratung und durch andere Betroffene erfahren. Solche Gewohnheiten, wenn sie von vermeintlichen Fachpersonen oder langjährigen Personen kommen, können eine körperliche Ignoranz darstellen. Als betroffene Person fühlt es sich an, als würde das Gegenüber die Arbeit und damit meine Bedürfnisse nicht ernst nehmen. Wertvolle und damit wichtige Informationen, welche ich von meiner Seite im Alltag immer wieder anrege, werden vom Gegenüber nicht umgesetzt. Deren körperliche Gewohnheiten werden nicht adaptiert, sondern wiederholen und zementieren sich in Form von gewohnten ausschließlich „visueller und akustischer“ Umgangsweisen. Der körperlich-fühlende Sinn wird außer Acht gelassen. Aber bei Menschen mit Hörsehbeeinträchtigung/Taubblindheit ist die taktile/haptische Ebene zentral, da vieles über Berührungen abläuft bzw. der Körper als Kommunikationsmedium begriffen wird. Damit reicht es nicht, wenn Angehörige oder Fachpersonen Dinge mit nur einem Sinn ausführen, sondern die Menschen müssen voll und ganz mit dem ganzen Körper bei der Sache präsent bleiben. Und sie dürfen körperlichen Kontakt in Begegnung mit taubblinden Personen nicht scheuen.

 

Lydia Kremslehner, Usher-Syndrom, November 2020

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