Netzhautzellen aus dem Labor? Gentherapie?

Medikamente ins Auge? Sehprothesen?


Therapie bei Usher Syndrom, Hörsehbeeinträchtgiung und Taubblindheit:

Neue Optionen für den Stopp der Erblindung und die Wiederherstellung des Sehvermögens.

 

Von Dominique Sturz (September 2016)

 

Während Hörstörungen durch die Versorgung mit Hörgeräten oder Cochlea Implantaten begegnet und zusätzlich andere Kommunikationsformen wie Gebärdensprache, taktile Gebärdensprache oder Lormen verwendet werden können, sind Therapieansätze für den gleichzeitig auftretenden fortschreitenden Sehverlust international noch in Entwicklung. Der Durchbruch steht jedoch kurz bevor!

 

Vielversprechend sind insbesondere Stammzellentherapie und Gentherapie: In 10 oder 15 Jahren sollte die Wiederherstellung des Sehvermögens laut amerikanischen Wissenschaftern vielleicht nicht zur Gänze aber zumindest teilweise möglich sein:

 


Stammzellentherapie

Diese Therapieform klingt wohl am spektakulärsten, ist sie auch.

Das Spektakuläre daran: eine Stammzelle kann durch Zugabe des entsprechenden Gens in vitro in jede beliebige Körperzelle „ausdifferenziert“ werden, es können also Zellen – so auch Netzhautzellen – durch entsprechende Programmierung gezüchtet, dann an entsprechender Stelle implantiert werden und abgestorbene Netzhautzellen ersetzen.

Das Besondere und Neue daran: man verwendet dafür Hautzellen, die dem Patienten entnommen, in vitro in Stammzellen „rückentwickelt“ und dann ebenfalls in vitro in unserem Fall in Netzhautvorläuferzellen ausdifferenziert werden. Man spricht hier von induzierten pluripotenten Stammzellen (ipSC – induced pluripotent Stemm Cells). Pluripotent – mit dem Potenzial, sich in jede Zelle zu entwickeln.

 

In Verruf ist nämlich die Stammzellentherapie in anderen medizinischen Bereichen (Krebsforschung) dadurch geraten, dass bis vor kurzem embryonale Stammzellen (hESC – human Ebrionic Stemm Cells) verwendet wurden, deren Gewinnung ethisch bedenklich und daher sowohl für Forschungszwecke als auch für einen flächendecken Einsatz als Therapie ungeeignet ist. Dieses Problem ist nun gelöst.

 

Und wie weit ist man hier konkret? In Iowa/USA werden interessierten Usher Patienten Hautzellen entnommen, von der Entnahme dieser bis zur Ausdifferenzierung zu transplantationsreifen Netzhautvorläuferzellen dauert es ca. zwei Jahre, dieses Verfahren kann nun allerdings durch eine neue Methode der Programmierung deutlich verkürzt werden. Die gesunden Netzhautvorläuferzellen sollen dann in die Netzhaut der Patienten implantiert werden.

 

In Japan wurden 2014 erstmalig aus Stammzellen „hergestellte“ Retinalzellen einer AMD Patientin eingesetzt (AMD –altersbedingte Makuladegeneration, also auch eine Netzhautdegenerationserkrankung, die allerdings wesentlich weiter verbreitet ist, als das Usher Syndrom, und insbesondere die ältere Bevölkerung betrifft). Es gab keine Abstossungsreaktionen und keine anderen negativen Nebeneffekte, das ist ein sensationeller Durchbruch, diese Ergebnis wurde Mitte 2016 veröffentlicht, die Dauerhaftigkeit der Wirksamkeit und Funktionalität werden in einer weiteren klinischen Studie ermittelt.

 

In Kalifornien wurde 2015 zu einer klinischen Studie zur Sicherheit und Wirksamkeit von Stammzellentherapie aufgerufen. Per einmaliger Injektion werden aus Stammzellen „hergestellte“ Netzhautvorläuferzellen ins Auge von RP Patienten eingebracht (RP – Retinopathia pigmentosa, diese ist bei Usher Patienten für die Netzhautdegeneration verantwortlich). Erstes Ergebnis: die Sicherheit ist gewährleistet, eine Weiterführung ist in Planung.

 

Es darf also weitergemacht werden, bis zur Therapiereife müssen allerdings noch alle Phasen der klinischen Studien (Sicherheit und Wirksamkeit) sowie die Zulassung als Therapieform durch die amerikanische FDA (Food and Drug Administration) und bei uns in Europa durch die EMA (European Medicines Agency) durchlaufen werden…

Dies gilt natürlich für alle in Entwicklung befindlichen Therapieformen. So auch für die nicht minder spektakuläre

 


Gentherapie

Usher Syndrom und viele andere Netzhauterkrankungen sind genetischer Ursache. Bei der sogenannten kausalen Gentherapie wird vereinfacht gesagt das mutierte Gen „überlistet“, indem das korrekte Gen per Trägersubstanz unter die Netzhaut injiziert wird und so durch ein nicht mehr fehlerhaft gesteuertes Programm normale Prozesse in der Netzhaut ablaufen lässt. So werden die Netzhautdegeneration und der damit verbundene fortschreitenden Sehverlust in jedem Fall einmal gestoppt, teilweise sogar rückgängig gemacht.

 

So z.B. sehr erfolgreich im Falle der LCA (Leber’sche kongenitale Amaurose), einer Netzhauterkrankung, die schon von Geburt an oder im sehr frühen Kindesalter zur Erblindung führt und für die das RPE65 Gen verantwortlich ist. Hier befindet man sich im Stadium der Zulassung zur Therapie (USA).

 

Der Erfolg dieser Studie (deutliche Verbesserung des Sehvermögens!) gilt als Modell für die Gentherapie aller anderen bekannten Mutationen bei Netzhautdegenerationserkrankungen. Diese Therapieform stellt auch die einzige kausale Therapie dar, beseitigt sie doch die Ursache für das Absterben der Sehzellen, zumindest vorübergehend: bei den Studienteilnehmern wurde nach einigen Jahren eine neuerliche Abnahme des Sehvermögens festgestellt, die Verabreichung einer weiteren Injektion wird evaluiert.

 

Klinische Gentherapiestudien laufen derzeit auch zu Usher 1b (letztere sogar in Europa, nämlich parallell zu Portland/USA am Pariser Institut de la Vision), zu Usher 2a in Boston/USA, zu anderen Netzhauterkrankungen wie AMD, Morbus Stargard, Chorioderemie usw. in den USA und in Paris, Grundlagenforschung zu Usher 1c in Deutschland, um die wichtigsten zu nennen.

 

Voraussetzung für die kausale Gentherapie (und für jede andere zukünftige Therapieform auch) ist eine molekulargenetische Abklärung, die das Verursachergen mittels Gentest ermittelt. Hiermit wird auch die zentrale Bedeutung des Gentests ersichtlich: dieser dient nicht nur der gesicherten Diagnose und dem Ausschluss anderer syndromaler Erkrankungen, die ähnliche Symptome wie das Usher Syndrom aufweisen (z.B. Refsum Syndrom), und damit der sofortigen Klarheit und Einleitung der richtigen Schritte hinsichtlich Hilfsmittel, Behandlung, Beratung etc., sondern insbesondere der Erforschung der Erkrankung: Erscheinungsform je nach Mutation, Verlauf, Prognose und nicht zuletzt der Therapieentwicklung. Und ausserdem, von enormer Wichtigkeit: eine Teilnahme an klinischen Studien und Zugang zur Therapie sind nur mit genetisch belegter Diagnose möglich, da diese die einzige eindeutige Diagnostik darstellt, eine Diagnose auf Grund der klinischen Symptome allein ist nicht eindeutig genug!!

 

Ein Gentest bedeutet für den Patienten geringen Aufwand, eine Blutabnahme genügt. In Österreich wird eine molekulargenetische Abklärung mit Überweisung durch den Augenarzt an der Med Uni Wien (Angewandte Anatomie) und an der Med Uni Innsbruck (Genetische Beratungsstelle) durchgeführt.

 


Pharmakologischer Ansatz , Elektrostimulation, Sehprothesen

Während Stammzellentherapie den Ersatz abgestorbener Sehzellen und Gentherapie das Stoppen des Absterbens von Sehzellen ermöglicht, stellen medikamentöse Therapie und Sehprothesen einen vergleichsweise unspektakulären und dennoch nicht unbeachtlichen Beitrag zur Behandlung von Netzhautdegenerationserkrankungen dar.

 

Z.B. schützen in das Auge eingebrachte neurotrophe Faktoren (CNTF – ciliary neurotrophic factors) Netzhautzellen vor dem Zelltod, eine klinische Studie hierzu läuft in Paris, eine weitere in den USA. Weiters sollen Anitoxidantien (hochdosiertes Vitamin A) und Lyzeum barberum (Gojibeerenextrakt) das Absterben der Sehzellen verlangsamen.

 

Ebenso ist laut einer in Deutschland geführten Studie nach transkornealer Elektrostimulation eine Visusverbesserung durch bessere Durchblutung der Netzhaut und Aktivierung relevanter Gene  zu verzeichnen.

 

Sehprothesen funktionieren ähnlich wie Cochlea Implantate und vermitteln im derzeitigen Entwicklungsstadium Seheindrücke, welche das Erkennen einer Tür, eines hellen Gegenstands auf einem Tisch oder sehr grosser heller Buchstaben auf dunklem Hintergrund, also eine grobe Orientierung und eine gewisse Autonomie für Blinde ermöglichen.

Sie wurden in den USA (ARGUS II, bereits ca. 100 Mal implantiert) und in Tübingen (Retina Implant, in Deutschland bereits als Therapie zugelassen und mehrfach implantiert) entwickelt. Kürzlich wurde sogar in Österreich je ein Exemplar an der Uniklinik Innsbruck und an der Wiener Rudolfsstiftung implantiert.

 

Wir können jedenfalls davon ausgehen, dass es demnächst auch eine Therapie geben wird, die den fortschreitenden Sehverlust stoppt und vielleicht sogar das Sehvermögen (teilweise) wiederherstellt, diese ist zum Greifen nah! Eine ganze Heerschar von Wissenschaftern sucht nach einer Lösung, das ist sehr motivierend, das Wichtigste aber für betroffene Menschen ist die Gewissheit, nicht allein zu sein!!

 

© Dominique Sturz

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