Wo gehöre ich dazu?

Anita Schachinger, geb. 3. 3. 1972, taubblind

 

Meine Mutter hatte während der Schwangerschaft Röteln, dadurch bin ich seh- und hörbehindert. Als Kind war ich schwerhörig. Mit 8 Jahren und mit 16 Jahren hatte ich einen Hörsturz, seitdem bin ich links taub und rechts resthörig. In den ersten Volksschuljahren besuchte ich eine normale Schule und kam dann in eine Hörbehindertenschule. Anschließend machte ich den Vorbereitungslehrgang für eine Handelsschule in Wien. Diese Schule mußte ich nach dem zweiten Hörsturz (mit 16 Jahren) aufgeben, weil ich fast nichts verstehen konnte. Ich kam dann für 3 Monate in das Rehabilitationszentrum. Dort lernte ich mit Bus, Straßenbahn und vor allem mit dem Blindenstock umzugehen. Seither kann ich auch alleine fortfahren. Dort habe ich auch das Lormen gelernt. Das ist ein Tastalphabet in der Handinnenfläche. Aber ich konnte es mit niemanden verwenden. Nach einer Berufsfindung für Blinde/Sehbehinderte absolvierte ich einen Kurs für Heilmasseur. Seither arbeitete ich in einem Kurzentrum als Heilmasseurin. Seit Juli 2000 arbeite ich als Betreuerin in der Lebenswelt Schenkenfelden, wo Taubblinde und Gehörlose mit Zusatzbehinderungen arbeiten und wohnen.

 

Ich habe mich schon vor vielen Jahren gefragt: „Wo gehöre ich dazu?“ Bei den Blinden fehlt mir das Hören und bei den Gehörlosen fehlt mir das Sehen. In der Hörbehindertenschule war ich im Unterricht meinen Mitschülern oft weit voraus, aber wenn es um die Kommunikation ging war es umgekehrt. Sie konnten Gebärdensprache und Lippenlesen verwenden, aber ich nicht. Mit den Schülern hatte ich dadurch kaum Kontakt. Inzwischen habe ich ein wenig Gebärdensprache gelernt, aber ich kann sie selbst fast nicht wahrnehmen.

 

Einige Monate versuchte ich am Jugendclub des Blindenverbandes teil zu nehmen. Auch da hatte ich wegen der Kommunikationsprobleme kaum Kontakt und war dadurch in dieser Gruppe sehr einsam. Bücher waren damals meine einzigen Freunde. 1994 lernte ich beim internationalen Taubblindentreffen und Förderkurs in der Schweiz zum erstenmal andere Taubblinde kennen. Nur bei diesen jährlichen Treffen kam ich in Kontakt mit Taubblinden, mit denen ich mich durch Lormen so unterhalten konnte, wie ich es mit Hörenden tue. Ich habe in Österreich noch keine Taubblinden getroffen, die in meinem Alter sind und mit denen ich mich über das Lormen unterhalten kann. Ich habe oft das Gefühl, daß mir durch diese Isolation ungefähr 10 Jahre meiner Kindheit fehlen. Normalerweise habe ich nur mit Kindern oder Erwachsenen, die meine Eltern sein könnten, Kontakt. Mit Gleichaltrigen gelingt dies seit meiner Schulzeit kaum. Wenn ich mit Hörenden zusammen bin, wird mir normalerweise nur das Notwendigste gesagt. Zuhause wird nur gesprochen und manchmal geschrieben. Meine Mutter kann als einzige ein bißchen lormen. Die meisten Menschen verstehen nicht, daß ich zwar gut sprechen, aber nicht gut hören kann. Diesem Problem begegne ich sehr oft. In Österreich habe ich nur in der Gehörlosenambulanz kaum Probleme mit der Kommunikation. Viele der Mitarbeiter können schon lormen oder lernen es gerade.

 

Seit März 1997 habe ich ein Cochlear Implantat. Die Kommunikation hat sich dadurch sehr verbessert. Im April 2002 bekam ich auch am rechten Ohr ein CI. Das Lormen brauche ich auch jetzt noch, denn nicht jeden und nicht überall kann ich gut verstehen.

 

Im Sommer 1996 begann ich Englisch zu lernen. Leider ist der Unterricht nur selten möglich, weil ich nur im Einzelunterricht lernen kann. Da ich im Herbst 1996 die Österreichvertretung der Taubblinden im Europäischen Taubblindennetzwerk (EDbN) übernommen habe, wird mir das noch sehr nützen. Ich möchte mehr Kontakt zu anderen, damit wir in Österreich etwas verändern können. Soviel ich weiß, gibt es bei uns keine Frühförderung für taubblinde Kinder, keine Taubblindenlehrer und Kommunikationshelfer. Das Problem mit dem Kommunikationshelfer kenne ich sehr gut. Ich würde gerne Kurse oder Vorträge besuchen, aber ich kann niemanden zum Lormen bekommen und für das Mitschreiben am Computer auch nur schwer. Für den Taubblindenkongreß 1996 in Finnland habe ich in Österreich niemanden gefunden, der für mich gelormt hätte. Bei der Freizeitgestaltung sieht es auch nicht besser aus.

 

Ich glaube, daß auch Öffentlichkeitsarbeit dringend notwendig ist. Ich habe bei meiner Arbeit noch niemanden getroffen, der wußte, daß es taubblinde Menschen gibt. Andere Länder sind uns da schon weit voraus. Ich glaube, daß wir nur durch gute Zusammenarbeit die anderen Länder einholen und für die Taubblinden in Österreich sinnvolle Veränderungen erreichen können.

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